Aktuelle Rechtslage
Die Große Koalition plant, Unternehmen als Ganzes stärker in die Haftung zu nehmen, wenn einzelne Mitarbeiter gegen Gesetze verstoßen. Entsprechende Initiativen firmierten unter dem Titel „Unternehmensstrafrecht“ und „Unternehmenssanktionsrecht“. Die Stiftung Familienunternehmen hat in mehreren Rechtsgutachten sowohl die Verfassungsmäßigkeit als auch die Erforderlichkeit eines solchen Rechts untersuchen lassen. Ein Ergebnis: Es besteht kein Regelungs-, sondern ein Vollzugsdefizit.
Bereits Ende 2013 hatte der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) einen „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“, das sogenannte Unternehmensstrafrecht (VerbStrG-E), vorgelegt. In der 18. Legislaturperiode kam der Vorschlag jedoch über eine abschlägig beschiedene Prüfung im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) nicht hinaus.
Die Stiftung Familienunternehmen hat zwei Rechtsgutachten zum Unternehmensstrafrecht in Auftrag gegeben. Der Strafrechtler Prof. Dr. Bernd Schünemann von der LMU München kommt in seinem Gutachten zum Schluss, dass die vorgelegten Vorschläge für ein Unternehmensstrafrecht gegen das Grundgesetz verstoßen würden. Im Strafrecht kann nur individuelles menschliches Verhalten eine Strafbarkeit begründen. Ein Unternehmen als juristische Person oder als Personengesellschaft ist nicht schuldfähig.
Prof. Mark A. Zöller von der Universität Trier schließt sich in seinem Rechtsgutachten „Zur Frage der Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland“ dieser Auffassung an. Darüber hinaus kommt er zum Schluss, dass neue Regelungen nicht nötig sind. Das deutsche Recht enthalte bereits zahlreiche Bestimmungen zur Ahndung von Vergehen, die aus Unternehmen heraus begangen werden. Aus dem Gutachten geht hervor, dass die bestehenden Möglichkeiten für Unternehmensgeldbußen nicht ausgeschöpft werden. Es herrsche kein Regelungs- sondern ein Anwendungs- und Vollzugsdefizit.
Im Jahr 2018 verständigte sich die Große Koalition darauf, die Sanktionierungsmöglichkeiten von Unternehmen zu verschärfen. Im Koalitionsvertrag ist ein Unternehmenssanktionsrecht vorgesehen, dass unter anderem folgende Elemente enthalten soll:
Die Stiftung Familienunternehmen warnt: Die Einführung eines solchen Rechts benachteilige Familienunternehmen. Gesellschafterfamilien, deren Familienname zugleich auch der Unternehmensname ist, drohe durch die Veröffentlichungspflicht von Urteilen eine Rufschädigung – selbst dann, wenn sie nicht an der Geschäftsführung beteiligt sind.
Prof. Dr. Martin Nettesheim, Rechtsprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Tübingen, hat dies in dem Gutachten "Öffentlichkeit als Unternehmenssanktion - Verfassungsrechtliche Grenzen von 'shame sanctions'" untersucht. Er kommt zu dem Schluss, dass die Pflicht zur Veröffentlichung von Urteilen gegen Unternehmen zentrale Prinzipien des Rechtsstaats verletzen würde. Auch Grundrechte wären unangemenssen beeinträchtigt. Der Staat würde seine Strafgewalt nicht selbst wahrenehmen, sondern eine sanktionierende Reaktion seitens der Öffentlichkeit veranlassen. Zudem ließen sich die negativen Auswirkungen einer Urteilsveröffentlichung nicht klar abschätzen. Gesellschafter von Familienunternehmen würden durch öffentliche Sanktionierung in besonderem Maß schlechter gestellt werden, da in vielen Fällen der Familienname gleichzeitig auch Unternehmensname ist.
Das Fazit des Gutachtens von Zöller ist, dass das vorhande Rechtsinstrumentarium der deutschen Rechtsprechung ausreicht, um auf Vermögenswerte von Unternehmen, die durch kriminelles Verhalten in deren Besitz gelangt sind, zuzugreifen. Es liegt also kein Regelungsdefizit, sondern ein Anwendungs- und Vollzugsdefizit der bereits existierenden geseltzlichen Möglichkeiten vor. „Wer Verfehlungen von Unternehmen bestrafen will," sagt daher Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Brun-Hagen Hennerkes, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Familienunternehmen, „sollte Anwendungs- und Vollzugsdefizite des geltenden Rechts beheben." Er fordert: „Die Staatsanwaltschaften müssen personell und fachlich aufgerüstet werden."
Rechtsgutachten von Prof. Bernd Schünemann, LMU München, „Zur Frage der Verfassungswidrigkeit und der Folgen eines Strafrechts für Unternehmen – Rechtsgutachten zum Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen“
Rechtsgutachten von Prof. Mark A. Zöller, Universität Trier, „Zur Frage der Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland – Gutachten zur Erforderlichkeit und rechtssystematischen Einordnung“
Gastkommentar von Prof. Brun-Hagen Hennerkes zum Unternehmenssanktionsrecht, erschienen im "Handelsblatt"