
Der Wissenschaftliche Beirat der Stiftung Familienunternehmen warnt vor den negativen Folgen ausufernder Transparenzauflagen. Er fordert eine stärkere Beachtung des Prinzips des Datenschutzes auch für Unternehmer. „Mit immer weitreichenderen Offenlegungspflichten gefährdet der Staat die Persönlichkeitsrechte und die Sicherheit von Unternehmern und schwächt Unternehmen im Wettbewerb. Die Prinzipien des Datenschutzes gelten für alle Bürger gleichermaßen“, erklärt der Beirat anlässlich der Präsentation seines von der Stiftung Familienunternehmen herausgegebenen Jahreshefts „Aspekte der Unternehmenstransparenz“.
Ein Beispiel für neue Offenlegungspflichten ist das Online-Transparenzregister, in das sich unter anderem Gesellschafter von Familienunternehmen eintragen lassen müssen und das von 2020 für jedermann einsehbar sein soll. Die EU-Kommission hat zudem vorgeschlagen, mit einem öffentlichen Country-by-Country Reporting Unternehmen mit mehr als 750 Mio. Euro Umsatz zu verpflichten, unter anderem sensible Gewinn- und Steuerdaten für jedermann zugänglich zu machen – dabei wurde im Rahmen der OECD bereits ein globaler, vertraulicher Austausch von Steuerdaten vereinbart.
„Wenn Familienunternehmen im Internet Land für Land detaillierte Auskunft über ihre Profitabilität und Finanzsituation geben müssen, werden ihre Wettbewerber in die Lage versetzt, Geschäftsmodelle zu kopieren. Sie werden gegenüber Großkunden, die fortan ihre finanzielle Lage kennen, transparent und damit empfindlich im Wettbewerb geschwächt“, warnt Prof. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats. „Es ist wichtig, die zuständigen Behörden in die Lage zu versetzen, für eine faire Besteuerung zu sorgen. Familienunternehmen sind die ersten Opfer, wenn international tätige Großkonzerne ihre Steuerlast auf ein Minimum reduzieren. Über das Internet Wettbewerber zu bevorteilen, von denen viele in Staaten ansässig sind, in denen kein öffentliches Country-by-Country Reporting vorgesehen ist, kann aber keineswegs im Interesse der europäischen Firmen sein. Ein vertrauliches Country-by-Country Reporting gegenüber den Behörden, wie es im Rahmen der OECD global vereinbart wurde, ist aus Sicht der Familienunternehmen ausreichend.“
Nach Meinung des früheren Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio stößt der Gesetzgeber mit „unbekümmert“ verhängten Transparenzpflichten an verfassungsrechtliche Grenzen. „Der gläserne Mensch widerspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes“, schreibt er im Jahresheft. Auch für Wirtschaftsunternehmen gälten Grundrechte. Er mahnte an, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu folgen. „Das Verfassungsrecht verlangt nicht die Aufopferung der Interessen des Rechtstreuen, um eine bessere Bekämpfung von Rechtsbrechern zu ermöglichen.“
Die Veröffentlichung von Steuer- und Einkommensdaten in Deutschland sei nicht zu rechtfertigen, urteilt Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest: „Eine Veröffentlichung personenbezogener Daten zu Einkommen und Steuerzahlungen wird in der Regel kaum zu einer sachgerechten Diskussion der Steuergesetze führen und stellt aber einen massiven, nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar. Es wird in Kauf genommen, dass Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden sowie Sicherheits- und Reputationsrisiken für die Betroffenen entstehen. Durch die neuen digitalen Möglichkeiten, Daten verfügbar zu machen und zu kombinieren, steigt diese Gefahr.“
Die Offenlegungsvorschriften können vor allem für Familienunternehmen, die fast 60 Prozent aller Arbeitsplätze in Deutschland stellen, mit Nachteilen verbunden sein, stellt Prof. Dr. Kay Windthorst fest. Für sie berge eine über das zumutbare Maß hinausgehende Transparenz besonderes Konfliktpotenzial, weil bei ihnen der geschäftliche Bereich und der familiäre Bereich untrennbar verknüpft seien. Windthorst regt an, den Betroffenen zumindest einen Auskunftsanspruch einzuräumen, welche Personen Einsicht in das Transparenzregister genommen haben. Die Grazer Professorin Tina Ehrke-Rabel warnt, leichtfertig neue technologische Mittel einzuführen, um Einzelne zu einer höheren Steuermoral anzuhalten. „Wir sollten uns bewusst sein, dass dies auch unser Konzept von individueller Freiheit verändern kann“, schreibt sie. „Sonst, so fürchte ich, laufen wir Gefahr, uns unbemerkt und schleichend einer technologischen Diktatur zu unterwerfen.“
Der Wissenschaftliche Beirat spricht sich in Summe für eine angemessene Transparenz aus, die europäische Unternehmen nicht im Wettbewerb benachteiligt.
Mehr als 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind Familienunternehmen. Die gemeinnützige Stiftung Familienunternehmen setzt sich für den Erhalt dieser Familienunternehmenslandschaft ein. Sie ist der bedeutendste Förderer wissenschaftlicher Forschung auf diesem Feld und Ansprechpartner für Politik und Medien in wirtschaftspolitischen, rechtlichen und steuerlichen Fragestellungen. Die Stiftung wird mittlerweile getragen von über 500 Firmen aus dem Kreis der größten deutschen Familienunternehmen. Der Wissenschaftliche Beirat wacht über die wissenschaftliche Arbeit der Stiftung Familienunternehmen und trägt mit Impulsen zu deren Fortentwicklung bei. Neben den Autoren des Jahreshefts gehört auch Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn dem Beirat an.