ESG-Vorgaben verletzen Grundfreiheiten des Unternehmertums
Die neue EU-Kommission hat erkannt, dass sie mit der Steuerung von Unternehmen in Sachen Klimaschutz und Menschenrechte über das Ziel hinausgeschossen ist. Die Richtlinien sollen abgeschwächt werden. Doch ist der ganze Ansatz der Verhaltensänderung über Standards mit der Verfassung vereinbar? Ein neues Gutachten sagt: nein.
München, den 4. Juli 2025. Familienunternehmen haben in der Regel hohe Ansprüche an die eigene Compliance. Dass Gesetze einzuhalten sind und das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns gilt, wird niemand in Zweifel ziehen. Auch das nachhaltige Wirtschaften (ESG) ist Teil der unternehmerischen Aufgabe.
Doch die Europäische Union (EU) verfolgt die Einhaltung der ESG-Vorgaben nicht auf Basis von Freiwilligkeit oder mit klassischem Ordnungsrecht, sondern mit einem „implementativen Steuerungsansatz“. Sie verpflichtet Unternehmen im Innern zu politisch oder moralisch wünschenswerten Verhaltensweisen, verbunden mit harschen Sanktionen und weitreichender Publizität.
Die Stiftung Familienunternehmen hat den Bonner Juristen und ehemaligen Verfassungsrichter Prof. Udo Di Fabio gebeten, diese Art der Steuerung zu bewerten. Sein Ergebnis:
Das implementative Experiment muss im Hinblick auf die messbare Wirkung und den vertretbaren Aufwand an vielen Stellen als gescheitert gelten und sollte zurückgebaut werden.
Prof. Udo Di Fabio
Die Studie behandelt Rechtsakte der EU wie die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und zur Lieferkette (CSDDD) sowie die Verordnung zum CO₂-Grenzausgleich (CBAM). Darin werden Sorgfalts- und Berichtspflichten formuliert sowie Risikoeinschätzungen verlangt. Doch das genau gewünschte Verhalten bleibt unbestimmt und soll vom Unternehmen selbst ausformuliert werden.
Soziale Kontrolle, scharfe Sanktionen
Außerdem kommen die Rechtsakte in dichter Abfolge, haben keine gemeinsame Logik und widersprechen sich sogar teilweise. Die Kontrolle erfolgt über Nicht-Regierungsorganisationen oder Gewerkschaften, mit denen die Unternehmen somit faktisch einem Kooperationszwang unterworfen sind. Gleichzeitig erwachsen daraus enorme Haftungsrisiken, zum Beispiel Bußgelder bis zu fünf Prozent vom weltweiten Nettoumsatz bei der Lieferkettenrichtlinie.
Di Fabio sieht die unternehmerische Dispositionsfreiheit als Teil der Berufsfreiheit verletzt, wie sie in Artikel 12 des Grundgesetzes und Artikel 16 der EU-Grundrechtscharta eigentlich geschützt ist. Denn der (Familien-)Unternehmer entscheidet nicht mehr frei. Aufwändig zu dokumentierende Entscheidungen wird er oder sie eher nicht treffen. Unsicherheit über das tatsächliche Geforderte stiftet zur Übererfüllung an. Aus Sorge werden Geschäftsbeziehungen gekappt oder bestimmte Lieferländer nicht mehr berücksichtigt. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verschlechtert sich.
Die Studie bewertet diese Eingriffe als unverhältnismäßig, nicht nur wegen des Aufwands. Die Überprüfungen sind einer hoch vernetzten globalen Wirtschaft kaum möglich, woraus zwangsläufig kritisierbare Ergebnisse entstehen, so Di Fabio. Als Zulieferer können sich auch kleinere Unternehmen dem nicht entziehen. Dabei bleibt unklar, ob die gewünschte Wirkung, zum Beispiel Schutz der Menschenrechte, erzielt wird.
Viele dieser gut gemeinten Regulierungen haben sich als nicht gut gemacht entpuppt. Der immense bürokratische Aufwand entsteht in jedem einzelnen Familienunternehmen: eine Regulierungskulisse mit Spuren von Willkür und ohne messbare Effekte. Diese Mechanik des Misstrauens muss endlich aufhören.
Prof. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen
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