Regulierungslast lässt sich mindern: Beispiel A1-Bescheinigung
Deutsche Familienunternehmen ächzen unter den Lasten einer EU-Bürokratie, die von Ineffizienzen geprägt ist – einerseits durch die Vorgaben der Europäischen Union selbst, andererseits durch die wenig praxistaugliche Umsetzung und Handhabung in Deutschland.
Das zeigt sich am Beispiel der so genannten A1-Bescheinigung. Diese Bescheinigung muss ein Arbeitgeber beantragen, wenn er einen Arbeitnehmer vorübergehend in ein anderes EU-Land entsendet, und sei es auch nur für eine kurze Dienstreise. Damit wird dokumentiert, dass er oder sie im Heimatland sozialversichert ist.
Das Verfahren belastet die Familienunternehmen erheblich. Dabei könnte es mit einfachen Maßnahmen viel effizienter gestaltet werden. Das ist das Ergebnis einer vergleichenden Studie der Stiftung Familienunternehmen. Sie wurde erstellt vom Centres for European Policy Network und der Prognos AG, und zwar in Kooperation mit dem Normenkontrollrat des Landes Baden-Württemberg.
Hier wurden zum einen die für den Antrag erforderlichen Angaben in vier Mitgliedsländern der EU untersucht, zum anderen die ökonomischen Kosten, die daraus in der Unternehmenspraxis resultieren. Die Studie betrachtet die Staaten Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Das gesamte Forschungsprojekt erstreckt sich über vier Bände zu vier verschiedenen Regulierungen. Teil 1 widmet sich der A1-Bescheinigung.
Hier lässt die EU Spielräume, die die Mitgliedstaaten unterschiedlich effizient ausfüllen. Denn welche Informationen dort konkret abgefragt werden, hat sie nicht festgelegt – auch nicht für eine Bescheinigung gemäß Artikel 16 der entsprechenden EU-Verordnung; dieser regelt Ausnahmefälle, zum Beispiel für längere Entsendedauern.
So hat jeder Staat andere Datenanforderungen und – im nächsten Schritt – auch einen anderen Digitalisierungsgrad für das Antragsverfahren. In Deutschland beispielsweise kann man die eingegeben Daten nicht speichern.
In 82 Interviews mit Unternehmen der betrachteten Länder machten die Forscher den Praxistest. In Deutschland kostet das Anmeldeverfahren für jeden einzelnen Antrag viel Zeit (26 Minuten) und besonders viel Geld (mehr als 10 Euro). Hinzu kommen längere Wartezeiten bis zur Erteilung der Bescheinigung. Auch müssen sich hier die Personalverantwortlichen besonders lange mit den Erfordernissen beschäftigen, um den Antrag korrekt stellen zu können.
Die Autoren der Studie empfehlen, das 2021 von der EU gestartete Pilotprojekt zu einem digitalen europäischen Sozialversicherungsausweis voranzutreiben, mit der sich die Zugehörigkeit zum heimatlichen System beweisen ließe. Damit würde die A1-Bescheinigung überflüssig. Kurzfristig sollten die Anträge schlanker gestaltet und ein EU-Portal für die Antragsstellung geschaffen werden. Bis dies gelinge, solle Deutschland sein Portal benutzerfreundlicher gestalten und dafür sorgen, dass die Angaben im Formular für dasselbe Unternehmen und dieselbe Person nur einmal eingestellt werden müssen („once only“).
Zitat Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen: „Die Stiftung legt hier eine Studienreihe zum Thema Bürokratiekosten vor, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Die Lasten des Alltags, die in unseren Familienunternehmen unendlich viel Kraft und Mittel binden, werden am konkreten Beispiel sichtbar.“
Dass Arbeitskräfte Dienstleistungen über Ländergrenzen hinweg erbringen können, ist eine der großen Errungenschaften der Europäischen Union. Doch die Praxis ist geprägt von quälender Regulierungsdichte, die so manche Entsendung am Ende verhindern dürfte. Gerade Familienunternehmen ärgern sich über unnötige und kostspielige Regularien in den Staaten, in denen die Mitarbeiter für begrenzte Zeit Dienstleistungen erbringen sollen. Hier muss dringend harmonisiert und vereinfacht werden. Das ist das Ergebnis einer vergleichenden Studie zu Bürokratielasten im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen.
Die Entsenderichtlinie hat einen Hintergrund, den jeder nachvollziehen kann. Arbeitnehmer sollen gleichbehandelt werden. Ganz gleich, ob sie dem heimischen Arbeitsmarkt angehören oder für ein paar Wochen bis Monate als Unterstützung aus dem Ausland kommen. Themen sind Bezahlung, Arbeitszeit oder die Sicherheit am Arbeitsplatz.
Doch zu ihrer Erfüllung sind vielfältige Angaben, Dokumente, Verdienstnachweise, Atteste bis hin zu Adressen von Kontaktpersonen beizubringen. Diese unterscheiden sich von Staat zu Staat – zusätzlich erschwert durch viele Ausnahmeregeln. Hierzulande sind bei Schichtarbeit sogar die genauen Daten und Zeiten für jeden Arbeitstag nachzuhalten. Außerdem gibt es in den Ländern verschiedene Vorgaben zur Sprache, in der die Unterlagen vorliegen müssen.
Die Einzelstaaten schießen über die ursprüngliche EU-Richtlinie teils weit hinaus. Überforderung und Verwirrung bei den Unternehmen im Entsendeland scheint fast gewünscht zu sein. Besonders mühsam ist das Entsenden von Arbeitnehmern nach Frankreich; dafür sind in den Unternehmen im Schnitt 80 Minuten Bearbeitungszeit notwendig – die Zeit zum Verständnis der Regulierung (teils mehrere Tage) nicht eingerechnet. Auch in den übrigen Ländern ist der Vorgang komplizierter als nötig.
Die empirische Studie, die sich auf eine Vielzahl von Interviews stützt, wurde erstellt vom Centres for European Policy Network und der Prognos AG. Untersucht wurden vier Mitgliedsländer der EU: Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Betrachtet werden die Regelungsdichte und die ökonomischen Kosten in der Unternehmenspraxis. Die Studie ist Teil 2 eines vierbändigen Forschungsprojekts.
Zum Thema Entsendung haben die Forscher konkrete Empfehlungen aufgelistet:
Dazu Professor Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen: „Arbeitskräfte sind knapp in Deutschland. Ihr flexibler Einsatz – gespeist aus dem großen Reservoir der ganzen EU – ist gerade für Familienunternehmen unabdingbar. Doch die Gesetzgeber in den Mitgliedsstaaten träufeln lähmenden Bürokratismus in diesen dynamischen Prozess. Wir brauchen jetzt schlanke und einheitliche Regelungen.“
Wie stark sind die Familienunternehmen administrativ belastet durch die Vorgaben zum Transparenzregister? Das hat die Stiftung Familienunternehmen mit Hilfe einer empirischen Studie klären lassen – als Beitrag zur Debatte über weniger Bürokratie.
Das Transparenzregister ist das Ergebnis einer Richtlinie der EU zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. In solche öffentlich zugänglichen Register müssen nicht-börsennotierte Unternehmen ihre wesentlichen Eigentümer bzw. Stimmrechtsbesitzer eintragen (die „wirtschaftlich Berechtigten“), samt Geburtsdatum, Nationalität und Aufenthaltsort, und zwar alles stets aktuell. Viele Familienunternehmer und -unternehmerinnen sehen dadurch, dass die Daten öffentlich zugänglich sind, ihre Sicherheitsinteressen bedroht – und gleichzeitig das Ziel der Bekämpfung von Geldwäsche nicht wirklich adressiert.
In der vorliegenden Studie geht es aber allein um die Befolgungskosten auf Seiten der Unternehmen. Die empirische Studie, die sich auf eine Vielzahl von Interviews stützt, wurde erstellt vom Centres for European Policy Network und der Prognos AG. Untersucht wurden vier Mitgliedsländer der EU: Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Betrachtet wurden die Regelungsdichte und die ökonomischen Kosten in der Unternehmenspraxis. Die Studie ist Teil 3 eines vierbändigen Forschungsprojekts.
Wieder einmal sind es die unterschiedlichen Auslegungen der Richtlinie in den einzelnen EU-Mitgliedsländern, die den Unternehmen Aufwand bescheren. Mal gibt es eine Liste, mal sind wie in Deutschland einfach alle Unternehmen zur Eintragung verpflichtet, auch die börsennotierten. Die Grenze von 25 Prozent der Anteile zur Definition der wirtschaftlich Berechtigten ist ebenfalls unterschiedlich definiert; so werden in Deutschland und Österreich auch Poolverträge aufs Korn genommen.
Interessanterweise stand die Einrichtung des Transparenzregisters in Italien bis vor kurzem noch aus, obwohl die Richtlinie längst in nationales Recht überführt wurde. Der Staatsrat als oberstes Verwaltungsgericht hatte die Umsetzung zwischenzeitig blockiert.
Resümee der Forscher: Obwohl die angeforderten Daten sich in den untersuchten Ländern nicht wesentlich unterscheiden, ist der Erfüllungsaufwand doch unterschiedlich – etwa weil der Austausch der Informationen zwischen dem Transparenzregister und dem Handelsregister nicht überall identisch geregelt ist. Auch die Bedienbarkeit der Systeme ist unterschiedlich gut. So braucht ein Unternehmen in Deutschland besonders lange, um das Transparenzregister erstmals zu befüllen: 45 Minuten. Dafür sind in Frankreich die Registrierungsgebühren hoch. Und allgemein gilt: Wer Hilfe oder Auskunft sucht, ist von der öffentlichen Verwaltung oft allein gelassen.
Die Studienautoren empfehlen, den automatischen Datenaustausch mit anderen Registern, wie er in Österreich praktiziert wird, auf alle EU-Mitgliedstaaten auszudehnen. Die Einrichtung eines zentralen EU-Transparenzregisters könnte eine gute Idee sein. Das Register sollte benutzerfreundlicher sein. Unterstützung für die Unternehmen sollte bereitgehalten werden.
Dazu Prof. Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen: „Die Familienunternehmen befüllen das öffentliche Transparenzregister höchst ungern mit ihren persönlichen Daten, da es mit ihren legitimen Bedürfnissen hinsichtlich Sicherheit und Datenschutz in keiner Weise übereinstimmt. Das hat inzwischen sogar der Europäische Gerichthof bestätigt. Dass es ihnen dann auch noch erhebliche und dauerhafte Bürokratielasten beschert, ist besonders ärgerlich.“
Die EU-Kommission und auch einzelne Regierungen der EU-Mitgliedstaaten haben verlauten lassen, sie wollten Bürokratielasten senken, um Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu stärken. Doch wie realistisch ist es, dass Gesetze und Vorgaben wirklich in großem Umfang gestrichen werden?
Die Stiftung Familienunternehmen legt zum Abschluss ihres empirischen Forschungsprojekts zu Bürokratiekosten in Europa ein Thesenpapier vor. Darin plädieren die Forscher des Centres for European Policy Network (CEP) und der Prognos AG für einen Perspektivwechsel in Richtung Verwaltungsvollzug: Wie kann man einem Unternehmen in der EU ermöglichen, sich möglichst unkompliziert rechtmäßig zu verhalten? Welche praktischen Maßnahmen würden helfen, den Aufwand zu reduzieren und Berichtspflichten für Unternehmen handhabbarer zu machen?
Die Forscher meinen: Kurzfristig wäre schon viel gewonnen, wenn das Design digitaler Lösungen streng nutzerorientiert wäre und die Informationsbeschaffungskosten nicht regelmäßig so hoch wären. Auch bei den gut gemeinten Ausnahmeregeln wäre weniger mehr.
Die Wissenschaftler ziehen damit Lehren aus dem umfassenden Forschungsprojekt der Stiftung Familienunternehmen, zu dem sie heute den vierten und letzte Teil vorlegt. Es handelt sich um vier Einzeluntersuchungen zu den Themen A1-Bescheinigung, Entsenderichtlinie, Transparenzregister und – nun aktuell – zur Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Die DSGVO ist seit genau fünf Jahren in Kraft: ein Normenwerk mit 99 Artikeln und 173 erläuternden Erwägungsgründen. Der Befund der neuen Studie: Für international tätige Unternehmen ist es höchst aufwendig, im Detail den unterschiedlichen Vorgaben in den einzelnen Mitgliedsländern zu entsprechen und daraus die richtigen Aktionen abzuleiten. Dabei wäre eine Harmonisierung der notwendigen Angaben und das Arbeiten mit festen Vorlagen zum Ankreuzen sehr einfach zu machen.
Die empirische Studie von CEP und Prognos, die sich auf eine Vielzahl von Interviews stützt, untersucht vier Mitgliedsstaaten der EU: Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Betrachtet wurden die Regelungsdichte und die ökonomischen Kosten in der Unternehmenspraxis.
Die Forscher betrachten beispielhaft den administrativen Aufwand durch die Pflicht, ein „Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten“ zu führen (Art. 30 der DSGVO). Hier sollen der Zweck der Verarbeitung, die Art der Daten, die Weitergabe an Dritte oder die Löschungsfristen aufgelistet sein.
Aber was genau ist eine Verarbeitungstätigkeit? Welcher Abstraktionsgrad ist erlaubt? Österreich und Italien lassen ihre Unternehmen mit der Definition ziemlich allein. Welche Tätigkeiten müssen wie detailliert und mit welchen zusätzlichen Informationen aufgelistet werden? Das unterscheidet sich von Land zu Land. Es gibt teilweise keine Vorlagen – oder nicht immer verständliche. Auch die Beratung durch die jeweiligen Datenschutzbehörden fällt höchst unterschiedlich aus.
Ähnlich verloren sind die Unternehmen beim Thema „Meldungen von Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten“ (Art. 33 DSGVO). Hier fragt jedes Land etwas andere Informationen ab, mal mehr, mal weniger als in der Verordnung verlangt. Besonders schwer haben es die Unternehmen in Frankreich. Sie können Eingaben im Meldeverfahren nicht speichern; jede Korrektur führt sie damit an den Beginn der Prozedur. Die befragten Unternehmen wünschen sich standardisierte, zeitsparende Online-Lösungen für die ganze EU.
Dazu Prof. Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen: „Verantwortlicher Umgang mit sensiblen Daten – dafür setzen sich Familienunternehmen seit jeher ein. Aber das muss ohne diese ausufernde Bürokratie möglich sein. Jedes Land, ja jedes Bundesland möchte sich hier selbst verwirklichen. So wird der Datenschutz zur Last, verursacht unnötige Kosten und mindert die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen.“