
Es war der 8. Februar 1972. Der Beschluss im Politbüro des Zentralkomitees der SED fiel streng geheim. Die SED-Führung verlangte die Umwandlung der letzten privaten und halbstaatlichen Unternehmen der DDR in volkseigene Betriebe. Die Familiennamen sollten getilgt, die stolze Tradition ausgelöscht werden. Als Kaufpreis war eine geringe Entschädigung vorgesehen.
Es ging um die letzten 11.800 Unternehmen, die Demontage und Enteignung bisher überstanden hatten. Nur Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern blieben verschont. Ein paar Monate später war der Beschluss umgesetzt. In einem Brief vom 13. Juli 1972 (an seinen „lieben Genossen“ Leonid Iljitsch Breschnew, Staatsoberhaupt der Sowjetunion) meldete Staatschef Erich Honecker Vollzug.
„Diese Erfahrungen sollten uns auch heute zu denken geben“, meint Professor Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. „Unternehmerisches Eigentum in Familienhand muss geschützt werden. Eigentum ist die Quelle von effizienter Produktion, Innovation, sozialer Sicherheit und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Die soziale Marktwirtschaft und eine freiheitliche Wettbewerbsordnung basieren auf Eigentum.“
Heute gibt es wieder erfolgreiche Familienunternehmen in Ostdeutschland. Viele, die 1972 oder davor enteignet wurden, haben nach der Wende ihr Unternehmen zurückerobert. Andere, die nach dem Krieg ihr Unternehmen nach Westdeutschland verlagert hatten, kamen mit hohen Investitionen zurück. Oft taten sich ostdeutsche Manager und Gründer mit westdeutschen Kapitalgebern zusammen.
Neue Wachstumskerne und Cluster sind entstanden. „Die allmähliche Reindustrialisierung in den ostdeutschen Bundesländern wird überwiegend von mittelständischen Familienunternehmen getragen“, so schreibt der Historiker Dr. Rainer Karlsch in der Studie „Industrielle Familienunternehmen in Ostdeutschland“, die von der Stiftung Familienunternehmen herausgegeben worden ist.
Trotzdem ist die Bilanz für Ostdeutschland ernüchternd. Dass hier seit dem 19. Jahrhundert das industrielle Herz Deutschlands schlug, ist heute weitgehend vergessen. Dabei hatte die industrielle Revolution fast nirgendwo so früh begonnen wie in Sachsen, Thüringen und Teilen Sachsen-Anhalts: Rohstoffe und Textilien, Maschinen und Automobile, Papier und Glas, Medikamente und Feinmechanik – alles erzeugt von Familienunternehmen. Auch die Reichshauptstadt Berlin war ein industrielles Kraftzentrum.
Zwei Weltkriege, Hyper-Inflation, Weltwirtschaftskrise, Konfiszierungen im Dritten Reich – das änderte das Bild. In Ostdeutschland begann unter sowjetischer Besatzung ab 1945 eine Politik der industriellen Regression. Demontagen und Schikanen machten einen Neuanfang für viele Familienunternehmen schwer bis unmöglich.
Nach der ersten Verstaatlichungswelle bis 1948 blieb kein einziges Familienunternehmen übrig, das mehr als 500 Beschäftigte zählte. Tausende Unternehmer wanderten ab in den Westen. Wer blieb, litt unter Planwirtschaft, Reglementierung und wurde als Klassengegner bekämpft. Kapitalmangel führte zu einer schleichenden Verstaatlichung. Bis Honecker die „Kapitalisten“ dann ganz „beseitigen“ wollte. Er inszenierte dies im Februar 1972 als freiwillige Aktion der Komplementäre. Dabei hatten sie keine Wahl. Zeitzeugen berichten, welche Dramen sich wirklich in den Familienunternehmen abspielten.
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Vortrag von Studienautor Dr. Rainer Karlsch am 9. Februar um 18 Uhr im DDR-Museum in Berlin und auf Youtube. |
Die gemeinnützige Stiftung Familienunternehmen setzt sich für den Erhalt der Familienunternehmenslandschaft ein. Sie ist der bedeutendste Förderer wissenschaftlicher Forschung auf diesem Feld und Ansprechpartner für Politik und Medien in wirtschaftspolitischen, rechtlichen und steuerlichen Fragestellungen. Die 2002 gegründete Stiftung wird mittlerweile getragen von über 500 Firmen aus dem Kreis der größeren deutschen Familienunternehmen.
50. Jahrestag der Enteignung von Familienunternehmen in der DDR
Wie Familienunternehmen in der DDR enteignet wurden, wie sie neuangefangen haben und wo sie heute stehen